Gritos

"Gritos" sind Schreie.
Hier sind es Klageschreie, Gesänge, Klänge und Tänze von Frauen. Sie sind inspiriert von den "Pla�ideras", den heute kaum noch existierenden spanischen Klagefrauen, die sich für das Trauern und Leiden einer festgelegten, ritualartigen Ausdrucksform bedienen.
Das Faszinierende an der mediterranen Trauer ist für mich, dass ihre Stimme im Moment der höchsten Verzweiflung nicht versagt, sondern, im Gegensatz zu uns nordischen Menschen, an Kraft und Volumen gewinnt. Die Trauernden sind den vibrierenden Klängen des Klageschreis ausgesetzt, und der Schmerz wird zu einem öffentlichen Ritual.
Auch die Klagemauer hat diesen öffentlichen Charakter, sie nimmt aber auch all die ganz persönlichen Wünsche und die leisesten und tiefsten Seufzer auf, die ihr anvertraut werden. Auf eine ganz andere Art werden hier Gedichte, Frauengesänge und Flamencorhythmen zu einer Klage verwoben. Eine Schauspielerin, eine Sängerin und eine Tänzerin stehen an der Klagemauer und bringen ihren Schmerz zum Ausdruck, aber auch ihre Hoffnungen und Visionen, jede in ihrer Form und Eigenart.
Tanz, Gesang, Wort - Rhythmus, Klang, Gedanke.
Ihr Klagen findet zu einem Ganzen. Gemeinsam gehen sie den Weg, bis der Schmerz zu singen beginnt und sich auflöst.
Oder wie ein spanisches Sprichwort sagt: "Cantando la pena, la pena se va".

Diese Klagen sind all jenen zugedacht, deren Schreie verstummt sind.
Brigitta Luisa Merki

Ausschnitte aus: Der Cante Jondo, Andalusischer Urgesang von F. G. Lorca

Er ist tief, wahrhaft tief, tiefer als alle Brunnen und als alle Meere, die die Welt umgeben, viel tiefer als das heutige Herz, das ihn hervorbringt, und die Stimme, die ihn singt. Er kommt von fernen Volksstämmen, durchzieht den Friedhof der Jahre und das Laubwerk der entkräfteten Winde. Er kommt von der ersten Wehklage und vom ersten Kuss.
Der Cante Jondo nähert sich dem Vogeltriller und der natürlichen Musik von Erle und Welle. Er ist einfach durch Alter und Stilisierung. Er ist wahrlich ein äusserst seltenes Muster des primitiven Gesangs, Europas ältesten Gesanges, dessen historischer Überrest und dessen vom Sand der Zeit verschüttetes Fragment, lebendig wie am ersten Tage seines Daseins in Erscheinung tritt.
Die Frau, Herz der Welt und unsterbliche Beherrscherin "der Rose, der Leier und des harmonischen Wissens", erfüllt die unendlichen Bereiche der Gedichte. Die Frau im Cante Jondo heisst "Pena", Pein.
Er ist bewunderungswürdig, wie ein Gefühl durch die lyrischen Gefüge hindurch allmählich Form annimmt und wie es nach und nach in etwas fast Körperlichem sich vergegenständlicht.. Genauso ist es mit der Pein.
In den C

Uraufführung, 07.05.1993, Zürich, Theater Westend

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Stuttgarter Zeitung

Ein Gesamtkunstwerk aus Tanz, Musik, Gesang, Sprache und bildender Kunst, wie es in dieser Homogenität, emotionaler Kraft und theatralischer Suggestion höchst selten erreicht wird. Alles ist Flamenco: Die Gitarristen (...) begleiten nicht nur Stimme und Körper, sie werden Teil der Gedichte. Klagemauer und Boden werden von den Frauen zum Klingen gebracht - ein starker gemeinsamer Rhythmus pulst auf Gillian White's Bühne.

Stuttgarter Zeitung, 02.04.1994

Stuttgarter Nachrichten

Brigitta Luisa fasst ihre "Schreie" in eine einstündige Szene voller Schwermut, Schwärze und Schönheit - ein Tanzpoem, das wie ein antikes Drama beginnt, aber wie eine Fiesta endet, ein choreographisches Theater. Das Stück ist ein Ganzes, und Gesang, Sprache, Musik und Zapateado greifen vor der Eisenplastik auf wunderbare Weise ineinander; ein emotionales Ereignis, das sich auf der Lebensspirale mit explosiver Kraft und Konsequenz entlädt.

Stuttgarter Nachrichten, 02.04.1994