paso por paso

Anda

paso por paso

Bern, Tojo Theater, 12.-16.02.14 Mit dem Pro-log „paso por paso", Schritt für Schritt, starteten Flamencos en route ins 30. Jahr. Ein starker Anfang. Ein starkes Ende. Und dazwischen viel Freiraum für die Persönlichkeit der Künstler und das weite Spektrum des kitschfreien Flamencos. Mit scheinbar leichter Hand führt die begabte und seit Jahren bewährte Leiterin und Choreografin der Flamencos en route, Brigitta Luisa Merki, ihre elf Tänzer, Musiker und Sänger durch die weite Kunst des Flamencos. „Paso por paso" ist ein Prolog zur Jubiläumsproduktion „...y que más!" (was sonst!), mit der die Kompanie ab Herbst 2014 unterwegs sein wird. Merki besinnt sich in der neuen Produk¬tion auf überliefertes Schritt- und Klangmaterial. Die verschiedenen Palos, von tief bis leicht, unterstreichen die jeweiligen Persönlichkeiten der Interpreten. Merki versteht es perfekt, die Zuschauer mit „Wohldosierung" zu faszinieren: Ihre Dramaturgie spannt den Bogen von Solotänzen mit hoher Bühnenpräsenz, über optisch charmante und beeindruckende Gruppeneinlagen, bis zu erotisch-verspielten Frau-Mann-Interpretationen. Intensität und Dichte des Stückes, die Ernsthaftigkeit der Kunst, dazu die schlichten schwarz-weißen Kostüm-Kreationen von Carmen Perez, rissen das Publikum im ausverkauften Tojo zu Bravo-Rufen hin. Was beweist, dass gute Kunst für sich selbst spricht.

Sonja L. Bauer, Anda, 01.04.2014


Esslinger Zeitung

Jedes Solo ein Kunstwerk
Wieder ein Ereignis: Das Gastspiel von Flamencos en route im Stuttgarter Theaterhaus

Stuttgart - Keine Gitarre, keine Kastagnette, keine knallenden Absätze: Dieser Abend beginnt ganz leise und auf nackten Füßen. Vorsichtig tastet sich eine Tänzerin auf die Bühne, streckt ihren Fuß in reinster klassischer Manier und zieht dann einen der Flamencoschuhe an, die hinten an Haken von der Decke baumeln. Rechter Fuß Flamenco, linker Fuß Ballett, so schön wie schizophren schreitet sie nach vorne, bald folgt ihr das ganze Ensemble mit dem teuflischen Handicap eines einzelnen klackernden Fußes und ruft uns den Titel des Abends entgegen: „Paso por paso", also „Schritt für Schritt".
Schritte, Spannung, Musik
Ohne tanztheatralisches Konzept und ohne Bühnenbild reduziert der neue Abend der Kompanie Flamencos en route den kunstvollen spanischen Tanz auf das Wesentliche: Schritte, Spannung, Musik. Der Flamenco ist eine genauso anspruchsvolle Tanzsprache wie das Ballett, mit einem ähnlich weiten Vokabular, raffinierten Strukturen und virtuosen Tänzern, er baut sich genau wie das Ballett aus vielen einzelnen, komplizierten Schritten auf - diese Lehre scheint uns Brigitta Luisa Merkis Ensemble-Choreografie zum Einstieg mitzugeben.
Mit „Orpheus" hatte die Direktorin der Kompanie aus dem schweizerischen Baden beim letzten Gastspiel ein veritables Tanztheater inszeniert, nun zeigt sie puren Flamenco in klaren, reinen Formen und Strukturen - Balanchine statt Cranko sozusagen. Dazu passt die elegante Schwarz-weiß-Ästhetik der Kostüme mit ihren dezenten Leitmotiven und die karge, allein vom atmosphä¬rischen Licht beherrschte Bühne. Eingerahmt von zwei Ensemble-Auftritten zeigt jeder der fünf Tänzer ein großes Solo, manchmal gesellt sich ein Kollege zum Duo dazu. Gemeinsam mit ihren großartigen Musikern und Interpreten durchmisst die Choreografin die ganze Farbpalette des Flamenco und zeigt die faszinierende Fähigkeit des an sich stark formalisierten Tanzes, die Persönlichkeit der Tänzer abzubilden: streng, stolz und stilisiert etwa in der Soleä von Ricardo Moro, dessen weite, langsame Bewegungen unter bebender Spannung stehen.
Intellektueller und eigensinniger dann bei Eloy Aguilar, der seine ausdrucksvollen Hände immer wieder stolz nach oben wirft, ein Che Guevara des Flamenco mit der Eleganz eines Apoll. Eine überraschende Instrumentenfarbe kommt zum Tanz von Raquel Lamadrid ins Spiel, die Querflöte gehört nicht unbedingt zur Musik des Flamenco und begleitet das fließende, arabisch-geheimnisvolle Solo in melancholischer Ein-samkeit.
Zuruck zur Folklore geht es mit der federleichten Carmen Iglesias, sie setzt Fächer und Kastagnetten so sparsam wie virtuos ein, steigert ihren Tanz in einer mitreißenden Dynamik. Raffinierte Percussionklänge auf der grossen Rahmentrommel leiten José Moros Solo ein, bei ihm ist Virtuosität einfach der strahlende Ausdruck von Lebensfreude. Wieder nur bewundern kann man Brigitta Luisa Merkis Gabe für Dynamik und Struktur der Auftritte, die oft nach einer atemberaubenden Steigerung ganz leise im Dunkel vergehen. Jedes Solo ist hier ein Kunstwerk.

Angela Reinhardt, Esslinger Zeitung, 20.02.2014


Stuttgarter Zeitung

Schritt für Schritt Leidenschaft
Tanz, Im Theaterhaus hat Flamencos en route die Deutschlandpremiere "paso por paso" gezeigt.
Sie glänzen märchenhaft wie Preziosen, wie sie da von der Decke baumeln: Absatzbewehrte Schuhe gehören zu den wichtigsten Utensilien des Flamenco, aber der moderne kommt auch mal ohne aus. Raquel Lamadrid schleicht sich barfuß auf die Bühne des Theaterhauses, wo Perkussionsinstrumente wie die „Kistentrommel" Cajön dem Kommenden harren. Die Tänzerin lotet sanft die Möglichkeiten ihrer Zehen und Fersen aus, verbindet Flamencodrehungen mit Ballettposen und Sprüngen, um nach einer Schuhanprobe ä la Aschenbrödel einen Damenschuh anzubehalten. Stante pede marschiert der Rest der Schweizer Kompanie Flamencos en route auf: Zwei Frauen und drei Männer entlocken nun, nur einen Fuß beschuht, dem(spanischen Tanz neue Klänge - Schritt für Schritt. „Faso por paso" nennt auch die Kompaniegründerin Brigitta Luisa Merki ihre neue Choreografie, die hier Deutschlandpremiere hat. Sie läutet das dreißigste Jahr des Bestehens der Truppe ein, im Herbst beginnt die Jubiläumstournee „ . . . y que mäs!" - „was sonst!"
Dieses Motto scheint schon über diesem Abend zu schweben. So hat die Schweizerin, die genre- und kulturübergreifend Ausdrucksformen im Flamenco erkundet, das Wesentliche thematisiert: Flamenco, seine Formen, pur, entkitscht, schlicht schwarz-weiß kostümiert, der individuellen Interpretation des jeweiligen Künstlers überlassen. Sind doch Fußarbeit, die Zapateados, sowie Bewegungen das Markenzeichen der Flamencistos und Flamencistas. Den ihren ließ Merki entsprechend viel Freiheit.
Und was dabei Schritt für Schritt in minutiöser Detailarbeit entsteht, reißt einfach mit. Wie Ricardo Moro seine Solea interpretiert, das ist nicht nur Virtuosität, sondern Leidenschaft in Reinform. Zurückhaltender, nicht minder gefühlvoll,' fordert Eloy Aguilar in seiner Siguiriya in komplexen Schrittrhythmen den Austausch mit den Musikern. Und während Carmen Iglesias in ihrer Guajira leichtfüßig mit Kastagnetten und Fächer die sich ihrer Reize selbst bewusste Dame gibt, bringt José Moro in seinem „Veridales" Tanzformen wie Jazz oder Modern ins Spiel - diesmal im Austausch nicht nur mit Percussion, Gitarre und Gesang, sondern auch der Querflöte von Maria Toro. Allenthalben wird deutlich, um was es im Flamenco geht, die Kommunikation des Tanzes mit der Musik. Die Sänger (stimmgewaltig: Rocio Soto und Pedro Obregon) reagieren mit jedem Ton auf Bewegung und umgekehrt. Klar fehlt auch das ewige Spiel der Geschlechter nicht: Der Mann reagiert auf die Frau, Blicke und Körper kreuzen sich, deren Stromfluss bis in die letzte Reihe auszumachen ist. Was die Spanier im Publikum immer wieder mit einem „Vale!" und „Ole" goutieren. Verständlich, mit „paso por paso" beweisen Flamencos en route im Jubiläumsjahr, dass das Mysterium des Weltkulturerbes Flamenco genügend Stoff für die Zukunft hat.

Petra Mostbacher Dix, Stuttgarter Zeitung, 20.02.2014


Berner Zeitung

Seit 30 Jahren mit Flamenco unterwegs
STADT BERN Mit dem Prolog «Peso por paso», Schritt für Schritt, gehen die Flamencos en route in ihr dreissigstes Jahr. Vorgestern fand im Tojo die Berner Premiere statt. Ein Stück mit Rückgrat und Persönlichkeit.
Ein starker Anfang. Ein starkes Ende. Und dazwischen viel Freiraum für die Persönlichkeit der Künstler und das weite Spektrum des kitschfreien Flamencos. Mit scheinbar leichter Hand führt Brigitta Luisa Merki, Leiterin und Choreografin der Flamencos en route, ihre elf Tänzer, Musiker und Sänger «paso por paso» - Schritt für Schritt - durch die weite Kunst des Flamencos. Einer Kunstform, die seit vier Jahren offiziell zum «immateriellen Kulturerbe der Menschheit» (Unesco) gehört. «Faso por paso» ist ein Prolog zur Jubiläums¬produktion «...y que mas!» («Was sonst!»), mit der die Flamencos en route ab Herbst 2014 unterwegs sein werden.
Zurück zur ursprünglichen Form
Wer 30 Jahre unterwegs war, hat manches in Gepäck und Geist. Dann scheint es beinahe leicht, mit all den Bereicherungen und dem Wissen von Welt und Kunst auf die ursprüngliche Form zurückzukommen, Genau dies tut Merki in der neuen Produktion: Sie besinnt sich auf überliefertes Schritt- und Klangmaterial. Dieses Reine der Flamencokunst in Verbindung mit dem hohen künstlerischen Niveau der drei Tänzer und der zwei Tänzerinnen mutet magisch an. Die verschiedenen Palos (Flamencothemen) von tief bis leicht unterstreichen die jeweiligen Persönlichkeiten der Interpreten. Merki versteht es perfekt, die Zuschauer mit «Wohldosierung» zu faszinieren: Ihre Dramaturgie spannt den Bogen von Solotänzen mit hoher Bühnenpräsenz über optisch charmante und beeindruckende Gruppeneinlagen bis zu erotisch-verspielten Frau-Mann-Inter¬pretationen. Da gibt es Kommunikation zwischen Tanz und Musik oder Tanz und Gesang. Wobei die technisch perfekten Füsse mit einem Instrument gleichzusetzen sind: Flamenco als Weltsprache ohne Worte.
Schlicht, intensiv, verspielt
Intensität und Dichte des Stückes, die Ernsthaftigkeit der Kunst und die Verspieltheit mancher Interpretation, dazu die schlichten schwarz-weissen Kostümkreationen von Carmen Perez, rissen das Publikum im ausverkauften Tojo-Theater zu Bravorufen und anhaltendem Applaus hin. Was beweist, dass gute Kunst für sich selbst spricht - losgelöst von jeglichem zeitgenössischen Mainstream.

Sonja L. Bauer, Berner Zeitung, 14.02.2014


Wynentaler Blatt

Die Tanzcompagnie Flamencos en route gastierte mit ihrer neusten Produktion «paso por paso» im Reinacher TaB. Der Aufmarsch des Publikums war riesig und es wurde nicht enttäuscht - die Tänzer und Musiker unter der Leitung von Brigitta Luisa Merki zündeten ein Feuerwerk an grandiosen Tanzeinlagen und wunderbarer Musik, gemischt mit viel Gefühl und Ausdruck.
hg. Der Auftritt der Tanzcompagnie Flamencos en route sorgte im Reinacher TaB für einen Grossandrang. Bis auf den allerletzten Platz war das schönste Kleintheater im Aargau, wie Clo Bisaz das TaB bezeichnete, besetzt. Und die Besucher wurden nicht enttäuscht, ja deren Erwartungen wohl sogar noch übertroffen. Von der ersten Minute an war es mucksmäuschenstill im Saal, die Tänzer vermochten einem vom ersten Moment an komplett in ihren Bann zu ziehen. Es war ein wahrliches Feuerwerk an faszinierenden. ausdrucksstarken Tanzeinlagen und
wunderbarer Musik, welches die Tanzcompagnie Flamencos en reute zündete. Das energiegeladene Spektakel, das sich auf den altbewährten Flamenco besinnt aber auch Raum für neue Ideen lässt, berührte und liess einem kaum still sitzen. Kein Wunder also, zeigte sich das Publikum zum Ende der Vorstellung restlos begeistert, ja es gab verdient tosenden Applaus und Standing Ovations für die Tänzer und Musiker.
Schritt für Schritt
«paso por paso» heisst die neuste Produktion der Tanzcompagnie Flamencos en route, welche sich tänzerisch wie auch musikalisch mit den Urformen des Flamencos befasst, der individuellen Ausdruckskraft der Künstler aber auch sehr viel Freiheit einräumt. Die ausdrucksstarken Bewegungen und Klänge zogen das Publikum in den Bann. Ob ganz leise, mit nackten Füssen oder lautstark tanzend, mit rhythmischen Klängen und dem typischen Flamencogesang untermalt, die Zuschauer waren fasziniert und irgendwie verzaubert.
Seit 30 Jahren ein Name
Mit «paso por paso» tanzt sich die Compagnie Flamencos en route übrigens bereits in ihre dreissigste Saison. Seit 1984 versteht es die Choreographin Brigitta Luisa Merki dem Flamenco stets neue Impulse zu geben. Immer wieder aufs Neue bricht die Tanzgruppe, welche sich aus zwei Tänzerinnen, drei Tänzern, einer Sängerin, einem Sänger, zwei Gitarristen, einem Perkussionisten und einer Flötistin zusammensetzt, auf zu neuen Ufern. «Aufbrechen, um niemals anzukommen» ist ein Grundsatz der Tanzcompagnie. Das Ziel sind eigenständige, zeitgenössische Tanz- und Musikproduktionen, die aus dem Geist und dem Wesen des Flamenco entstehen, aber eine unverwechselbare Ausstrahlung haben. Und so hat sich die Compagnie Flamencos en route im In- wie aber auch im Ausland längst einen Namen gemacht.

hg, Wynentaler Blatt, 11.02.2014


Der Bund

«Flamenco ist viel mehr»
30Jahre Flamencos en route: Wieso ist die preisgekrönte Schweizer Tanzcompagnie kaum an den zeitgenössischen Festivals vertreten? Ein Gespräch mit der künstlerischen Leiterin Brigitta Luisa Merki
Beim Stichwort Flamenco denkt der Laie an klackernde Absätze, Pathos, wilde Armbewegungen. Was bedeutet Flamenco für Sie?
Diese Äusserlichkeiten haben mich nie interessiert. Flamenco ist eine komplexe Kunstform, die auf professioneller Ebene kontinuierlich mit dem Zeitgeist geht. Neben tänzerischem Handwerk verlangt sie individuelle Ausdruckskraft und Musikalität.
Worum geht es in dieser Kunst?
Im Wesentlichen um den Dialog zwischen Tänzern und Musikern. Als Flamencotänzerin ist man auch Musikerin. Man greift mit dem Schrittmaterial perkussiv in die Musik ein, man ist beteiligt an der musikalischen Komposition. Das rhythmische Gefüge hat sich in den letzten dreissig Jahren enorm entwickelt und wird immer komplexer.
Heisst das, es gibt gar keinen authentischen Flamenco?
Doch, authentisch bedeutet für mich wahrhaftig und lebendig im Zeitgeist. Die Flamencokunst hat viele Formen und ist ein Katalysator. Sie wird von afrikanischen und arabischen Rhythmen ebenso beeinflusst wie vom Streetdance. Weil die musikalischen stets mit inneren Rhythmen korrespondieren, verändert sich auch die tänzerische Darstellung. Seit 2010 gehört der Flamenco zum immateriellen Kulturerbe, das sich gerade dadurch definiert, dass es in steter Wandlung begriffen ist.
Aber es gibt FlamencoKitsch.
Den haben ihm die Spanier selber angetan. Während der Franco-Diktatur wurde alles Spanische als Flamenco verkauft. Doch die Rüschenkleider und Blumen stammen eigentlich aus der andalusischen Folklore. Sie sind beliebt und verbreitet an den Volksfesten wie etwa der Feria de Abril in Sevilla. Dort passt dieser Überschwang wunderbar. Mit Flamenco hat das aber nichts zu tun. Durch solche Bilder gerät oft in Vergessenheit, dass der Flamenco auf sehr kargem Boden gewachsen ist.
Kommerz und Tourismus haben die ursprüngliche Kunst vereinnahmt?
Ja, das hat sein Image bis heute beschädigt. Susana, die 2010 verstorbene legendäre Berner Tänzerin und Mitbegründerin von Flamencos en route, hat es perfekt verstanden, den Flamenco als Bühnenkunst zu emanzipieren und vom Kitsch zu befreien. Auf Susanas Spuren gehen wir weiter.
In welcher Art?
Ich habe in meinen choreografischen Werken mit deutschsprachigen Schriftstellern, klassischen Sängern, mit Interpreten aus der Neuen Musik und dem arabischen Raum, Künstlerinnen und Künstlern der visuellen Künste zusammengearbeitet und in der Reibung des Flamencos mit andern Künsten neue Ausdrucksformen erkundet.
Seit 30 Jahren ist Ihre Compagnie in Baden beheimatet. Wird Ihre Arbeit in Spanien wahrgenommen?
Ja, in Flamencokreisen kennt man uns gut. Wir wurden verschiedentlich in der spanischen Tanzpresse besprochen von Kritikern, die aus Spanien anreisten, um unsere Werke hier zu sehen. Immer wieder flattern mir Bewerbungen von spanischen Tänzern auf den Tisch, die bei uns arbeiten möchten. Im Moment ist es schwierig, an Festivals eingeladen zu werden. Die Kulturgelder sind sehr knapp in Spanien, und es gibt viele gute Gruppen dort, die ums Überleben kämpfen.
Ihre Tanzcompagnie erntet in Publikums- und Fachkreisen höchstes Lob. Dennoch sind Flamencos en route kaum an den zeitgenössischen Festivals der Schweiz vertreten. Wieso?
Flamenco gilt nicht als Tanzsprache wie das klassische Ballett oder der zeitgenössische Tanz. Für mich unerklärlich! Tanz ist ein universelles Ausdrucksmittel; unsere Tanzform baut lediglich auf einer andern Grammatik auf. Handwerklich und künstlerisch steht der Flamenco ebenbürtig da.
Was ist das Problem?
Die Qualität scheint für viele Veranstalter nicht relevant zu sein. Flamenco passe nicht ins Konzept, heisst es. Die Intendanten berufen sich meistens auf ihr zeitgenössisches Profil. Die Realität ist: Die Tanzprogramme ähneln sich, sind einseitig und
einem kleinen Publikum vorbehalten. Ich empfinde diese Einschränkung als problematisch und nicht sehr zeitgenössisch im Geiste. Die Theater müssten ihren Auftrag für den Tanz weitreichender erfüllen. Der künstlerische Dialog fern von Trends und Business ist schwierig geworden.
Flamencos en route konnten sich trotzdem ein solides künstlerisches Fundament schaffen. Wie sieht es finanziell aus?
Wir sind subventioniert vom Kuratorium des Kantons Aargau, dem Kanton Aargau und der Stadt Baden und erhalten produktionsbezogene Unterstützungsbeiträge. Die Gagen der Künstler sind den Richtlinien der in der Schweiz festgelegten Löhne für Tänzer in der freien Szene angepasst. Doch die finanzielle Situation für Freischaffende hat sich in all den Jahren nicht entspannt. Die Gagen bewegen sich immer noch in der Höhe wie vor 30 Jahren.
Zeigen Sie deshalb «paso por paso» im kleinen Tojo der Reitschule anstatt in der Dampfzentrale?
Nein, dieses Programm eignet sich explizit gut fürs Tojo, da es auch auf kleinen Bühnen gespielt werden kann. Hingegen können wir unsere grossen Choreografien seit Jahren nicht in der Dampfzentrale zeigen. Die Zürcher Gessnerallee ist uns verwehrt, und auch im Basler Roxy, wo wir jahrelang ein grosses Publikum aufgebaut haben, stehen wir an. Neuausrichtung, heisst es auch da.
Was können Sie tun?
Hoffen, dass einmal durchbricht, dass der Mensch kein einseitiges Wesen ist und sich von unterschiedlichen künstlerischen Kreationen inspirieren lässt, dass Andersartigkeit in der Kunst den Dialog anregt. Persönlich kann ich nichts tun, ausser mich noch vertiefter auf das Wesentliche in meiner Arbeit zu konzentrieren. Ich bin Künstlerin und Choreografin und trage als Direktorin Verantwortung für meine Tanzcompagnie. Deshalb konzentriere ich mich auf meine Hauptaufgabe, neue Stücke zu kreieren und dafür zu sorgen, dass wir sie zeigen können. Wo auch immer.
Wo proben Sie?
Seit 1987 ist unsere 12-köpfige Künstlertruppe in einem Fabrikgelände in Baden eingemietet; ohne dieses würden wir nicht überleben. Es ist eine einfache Nische, in der ich kreativ sein kann. Wir halten unseren personellen Überbau und die Infrastruktur so klein wie möglich. Vieles in Administration, Technik, Betreuung der Compagnie und Kunst haben wir in den letzten 30 Jahren zu zweit gestemmt.
Ihre Musiker und Tänzer kommen aus der ganzen Welt. Wo leben sie während der Proben?
Wir bewohnen alle zusammen ein Haus, das wir von der Stadt Baden gemietet haben. Es war ursprünglich das Obdachlosenheim. Mit einfachen Mitteln versuchen wir, den angereisten Künstlern die Zeit in der Schweiz so angenehm wie möglich zu machen.
Sie bewahren in Kopf und Körper die Stücke von Flamencos en route. Denken Sie gelegentlich daran, wie es dereinst mit dem Repertoire und der Gruppe weitergeht?
Nein. Ich lebe ganz in der Gegenwart. Aber ich gebe zu, es gab schon mal eine Nacht, wo mir ein Gedanke an die Zukunft den Schlaf geraubt hat.
Was ist die Idee hinter «paso por paso», Ihrem jüngsten Stück?
Es ist ein Prolog zum Jubiläum 30 Jahre Flamencos en route. Wir besinnen uns auf die ursprüngliche Form des Flamenco, auf überliefertes Schritt- und Klangmaterial. «paso por paso» - Schritt für Schritt - ist auch das Leitmotiv für die Arbeitsweise von Flamencos en route.
Und die Jubiläumssaison?
Die Jubiläumssaison unter dem Titel «... y que mas!» («was sonst!») beinhaltet verschiedene Produktionen. Wir starten im Kanton Aargau, danach gehen wir auf Tournee. Und 2015 erarbeiten wir beim Ballett am Rhein in Düsseldorf eine neue Kreation.

Marianne Mühlemann, Der Bund, 07.02.2014


Aargauer Zeitung

Noch hängen die auf Hochglanz po­lierten, schön arrangierten Schuhpaa­re an der Wand. Dann tauchen im schummrigen Licht der Bühne die nackten Füsse der Tänzerin Raquel La­madrid auf Sie erkunden den Boden der Bühne. Schritt für Schritt, vor und zurück. Der Fuss schmiegt sich an den Boden, stösst sich von ihm ab, strei­chelt ihn. Und als sie ihr Territorium erkundet haben, schnappt sich Lama­drid einen der Schuhe an der Wand. Nur einen - die anderen Ensemble­mitglieder tuns ihr nach. «Paso por Pa­so!», rufen sie, während nackte Füsse und Schuhsohlen einen irren Rhyth­mus vollführen.

So einfach und verspielt stellte die Kompanie, die sich Schritt für Schritt auf ihr 30-Jahr Jubiläum zubewegt, am Freitagabend ihr neues Pro­gramm im Badener Theater im Korn­haus vor. Vor der grossen Geburts­tagsfeier 2014 haben die Künstler zur Einstimmung ein wunderbar schlich­tes Programm erarbeitet. Kein opu­lentes Spektakel wie zuletzt bei «babel. torre viva» in der Klosterkirche Königsfelden, son­dern eines, das sich auf die Ursprünge der Flamencokunst beruft und dem der Tanzboden als Büh­ne und schlichte Kostüme in Schwarz-Weiss (Kostüme: Carmen Perez Mateos) genügten. Die gezeigten «Palos», wie die tra­ditionellen Flamencoformen ge­nannt werden, boten die Künstler in einzelnen, für sich stehenden Solo­darbietungen,

Feuriger Anfang

Neben der Authentizität der Tanz­formen waren es vor allem die Tem­peramente der Tänzer und Musiker, die den Abend rhythmisierten. Feurig wars gleich am Anfang bei der Soleá von Ricardo Moro. Viel Kraft leg­te er in seine Bewe­gungen. Sein Brust­korb zitterte unter dem Hemd. Das Publikum tobte. Zart und geschmeidig hingegen die Schritte seines Kollegen Eloy Aguilar mit «siguiriya», und Carmen Iglesiasversteckte sich verspielt mädchen­haft in der südamerikanischen Form der «Guajira» hinter ihrem Fächer und liess die Kastagnetten klappern.

Weil Musik und Tanz beim Flamen­co eins sind, verwickelten die Musiker am Bühnenrand die Tänzerinnen und Tänzer immer wieder ins Gespräch. Die charismatische Sängerin Rocio Soto drängte, trieb und forderte die Tän­zer mit aufgerauter Stimme. Immer wieder lösten sie und ihr Kollege Ped­ro Obregon sich vom Bühnenrand. Aber auch die Tänzer suchten die Mu­sik: Jose Moro flirtete mit der Querflö­tistin Maria Toro, die sich unaufdring­lich in die traditionellen Gitarren- und Perkussionsstimmen einmischte. Min­destens genauso faszinierend waren aber auch diejenigen Sequenzen ganz ohne Musik: Das Liebespaar Raquel Lamadrid und Jose Moro löste sich für Momente aus den strengen Mustern des Flamencos und verharrte in inti­men Gesten.

Auch wenn Merki das Elementare am Flamenco herausheben wollte, war dieser Abend mehr als das. Mit simplen Mitteln gelangen wunderbar komische Brechungen: Etwa, wenn Raquel Lamadrid in einen grosser Männerschuh stieg oder Ricardo Moro im Moment höchster Spannung für einen kurzen Moment seinen Arm kraftlos herabhängen liess. Die­se kleinen Gesten machten diesen Abend ganz gross.

Julia Stephan, Aargauer Zeitung, 16.09.2013